Heute bestätigte der EuGH in einem Urteil, dass die deutschen Regelungen der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten gegen das Unionsrecht verstoßen. Dabei stellte der Gerichtshof auch Grenzen für Neuregelungen klar.

Was sind Vorratsdaten?

Nach § 176 des deutschen Telekommunikationsgesetzes sind Internetprovider und Telefonanbieter dazu verpflichtet, Verkehrsdaten ihrer Kunden zu erfassen und zu speichern. Darunter fallen vor allem Informationen darüber, wer wann mit wem per Telefon kommuniziert, oder sich mit welcher IP-Adresse im Internet bewegt. Diese Verbindungsdaten sollen für 10 Wochen gespeichert werden. Außerdem werden auch Standortdaten von Mobilgeräten für vier Wochen gespeichert. Dadurch sollte es Ermittlern erleichtert werden Kriminalität im Netz zu verfolgen. Nach dem bisher geltenden Recht sind von der Datenerfassung jedoch nicht nur Verdächtige schwerer Straftaten, sondern alle Bürger betroffen. Seit 2017 wurde die Speicherpflicht für Telekommunikationsanbieter von der Bundesnetzagentur aber ohnehin nicht durchgesetzt.

Zusammenfassung:

Der EuGH hatte bereits 2014 in seinem Urteil zum Vorabentscheidungsersuchen des High Court (Irland) und Verfassungsgerichtshofs (Österreich) die damalige EU-Richtlinie (RL 2006/24/EG) zur Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismäßig erklärt. Damals war die Verpflichtung zur Datenspeicherung nicht auf das Notwendige beschränkt und deshalb unvereinbar mit den Grundrechten.

2016 bekräftigte und präzisierte der EuGH seine vorherige Entscheidung in einem weiteren Urteil bezüglich des von Schweden und Großbritannien eingereichten  Vorabentscheidungsersuchens. Zunächst feststellte er fest, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich den Schutz der vertraulichen Kommunikation selbst regeln können. Sieht ein Mitgliedsstaat dabei auch Ausnahmeregelungen vor, so müssen diese auf das absolut Notwendige beschränkt werden. Diese Beschränkung soll dabei nicht erst für den behördlichen Zugriff, sondern bereits für die Speicherung der Daten gelten. Eine solche Vorratsdatenspeicherung ermöglicht nämlich sehr genaue Rückschlüsse auf das Privatleben des Bürgers, was einen besonders schweren Grundrechtseingriff darstellt. Aus diesem Grund dürfe ein Eingriff nur zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Straftaten erfolgen.

Das aktuelle Urteil:

In seinem aktuellen Urteil (Urt. v. 20.09.2022, Rs. C-793/19, C-794/19 u.a.) bekräftig der EuGH nun seine vorherigen Entscheidungen. Das allgemeine und unterschiedslose Speichern von Kommunikationsdaten verstößt grundsätzlich gegen EU-Recht. Davon soll es nur wenige Ausnahmen geben. Eine anlasslose Speicherung der IP-Adresse ist ausnahmsweise zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder schwerer Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit zulässig. Das bedarf aber zusätzlich einer richterlichen Genehmigung und muss zeitlich auf das absolut Notwendige beschränkt werden. Weiterhin ist die Speicherung anderer Verbindungs- und Standortdaten nur möglich, wenn sie räumlich begrenzt ist, etwa auf Bahnhöfe oder Flughäfen.

Reaktionen des deutschen Bundestages:

Konstantin von Notz, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, und Helge Limburg, Sprecher für Rechtspolitik teilten mit:

Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte. Die Ampel hat sich in ihrem Koalitionsvertrag nach intensiven Debatten gemeinsam glasklar darauf verständigt, die Bevölkerung zukünftig nicht mehr anlasslos zu überwachen, sondern stattdessen Gefahren zielgerichtet abzuwehren und eine insgesamt grundrechtsorientierte und rechtsstaatlich ausgestaltete Sicherheitspolitik zu verfolgen. Hierzu stehen wir. Für eine – wie auch immer geartete – Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sehen wir weder rechtlichen noch politischen Spielraum.

 

Auch die FDP lehnt die anlasslose Speicherung schon seit längerem ab. So spricht sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) für das so genannte „Quick-Freeze“ Modell aus.

Ausgangspunkt des Modells ist eine Vorratsdatenspeicherung im kleinen Rahmen. Bei Verdacht auf eine schwere Straftat, können Strafverfolger nach Entscheidung eines Richters die entsprechenden Daten „einfrieren“ lassen und damit eine drohende Löschung verhindern. Eine ähnliche Regelung gibt es im deutschen Recht bereits, den § 100g StPO. Die eilige Anordnung kann sich dann beispielsweise auf Verbindungsdaten an einem bestimmten Tatort und seine Umgebung beziehen. Konkretisiert sich der Verdacht, können Strafverfolger die gesicherten Daten dann gezielt „auftauen“ und für ihre Arbeit nutzbar machen.

Bundesministerin Nancy Faeser hingegen forderte wenigstens die Speicherung von IP-Adressen, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Netz besser verfolgen zu können.

 

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