Der europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich am 08.10.2020 mit der Frage, wie der Wertersatz berechnet werden soll, wenn der Kunde seinen Vertrag vorzeitig – fristgerecht- widerruft und somit sein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht nutzt. Der EuGH entschied, dass die Online-Dating-Plattform Parship nicht allein den Betrag von EUR 130,00 statt des Gesamtpreises von EUR 523, 95 erstatten darf, da zu Beginn des Vertrags auf keine Einzelberechnung hingewiesen worden sei (EuGH, Urt. v. 08.10.2020 – Az.: C-641/19).

Die Beklagte Partnervermittlungs-Website Parship bietet sogenannte Premium-Mitgliedschaften für eine Dauer von 6, 12 oder 24 Monaten an, wodurch diesen Mitgliedern ermöglicht wird, mit allen weiteren Premium-Mitgliedern mithilfe von Nachrichten oder Bildern zu korrespondieren (https://www.cr-online.de/64163.htm).

Vorliegend schloss die Klägerin am 04.11.2018 einen Vertrag über eine zwölfmonatige Premium-Mitgliedschaft in Höhe von EUR 523,95  ab. Die Nutzerin wurde von der beklagten Partei ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht aufgeklärt. Folgend kündigte diese am 08.11.2018 ihren Vertrag bezüglich der Premium-Mitgliedschaft. Die beklagte Partei nahm aufgrund bereits erbrachter Teilleistungen, wie das Erstellen eines Persönlichkeitsprofils, nur eine Erstattung in Höhe von EUR 130,oo vor. Daher erhob die Nutzerin Klage auf Rückzahlung sämtlicher an die Beklagte geleisteter Zahlungen.

Der Rechtsauffassung des EuGH folgend sollen bei der Berechnung des Betrags im Sinne von  Art. 14 Abs. 3 der Verbraucherrichtlinie grundsätzlich alle Leistungen zur Berechnung herangezogen werden, die Teil des Vertrags sind. Bei einem Widerruf darf dementsprechend auch nur ein anteiliger Betrag verlangt werden, wenn ausdrücklich klargestellt wird, dass eine oder mehrere Leistungen gleich zu Beginn des Vertrags vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden.

Nur wenn der Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, kann der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob er (…) ausdrücklich verlangen soll, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung während der Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts beginnt. Nur in einem solchen Fall ist daher bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.

Zudem wies der EuGH darauf hin, dass im vorliegenden Vertrag eine gesonderte Differenzierung zwischen der vorgesehenen Hauptleistung und einer anderen Leistung nicht erkennbar ist.

Im vorliegenden Fall sah der in Rede stehende Vertrag aber keinen gesonderten Preis für irgendeine Leistung vor, die als von der in diesem Vertrag vorgesehenen Hauptleistung abtrennbar angesehen werden kann.“

Hinsichtlich der Bestimmung der Höhe des anteiligen Betrags sah das Gericht eine Auslegung im Licht des  50. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2011/83 vor. Demnach ist der Marktwert bestimmbar durch einen Vergleich mit dem Preis einer, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von anderen Unternehmern erbrachten, gleichwertigen Dienstleistung.

Folglich werden für die Beurteilung des Gesamtpreises alle Umstände in Bezug auf den Marktwert der erbrachten Dienstleistung berücksichtigt. Hiervon ist sowohl der Vergleich mit dem Preis, den der betreffende Unternehmer von anderen Verbrauchern unter den gleichen Bedingungen verlangt, als auch der Vergleich mit dem Preis von anderen Unternehmern erbrachten gleichwertigen Dienstleistung betroffen (https://www.cr-online.de/64163.htm).

Schließlich stellte sich die Frage, ob die Klägerin wirklich widerrufen kann, obwohl der Vertragsgegenstand eine digitale Leistung ist, die nicht auf einem körperlichen Datenträger vorliegt. Nach Art. 16 Buchst. m i.V.m. Art. 2 Nr. 11 der Richtlinie 2011/83 ist der Widerruf bei derartigen Leistungen nicht möglich (https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eugh-rs-c64119-widerruf-verbraucher-parship-verbraucherschutzrichtlinie/).

Jedoch besagt die Rechtsauffassung des EuGH, dass Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang und die gemeinsame Nutzung solcher Daten mit anderen ermöglichen, nicht unter diese Vorschrift fallen. Der Entscheidung des EuGH folgend stellt der Persönlichkeitstest und das damit erstellte Persönlichkeitsprofil somit keine Lieferung „digitaler Inhalte“ im Sinne dieser Bestimmung da, weshalb also die Klägerin ordnungsgemäß widerrufen kann.