Mit Entscheidung vom 07.06.2017 klärte das OLG München die Frage, ob Suchmaschinenbetreiber mittelbar auf gelöschte Inhalte verlinken dürfen oder sämtliche Hinweise auf gelöschte Inhalte zu unterlassen haben. In dem Verfahren gab das OLG München der Antragstellerin Recht und verpflichtete den Suchmaschinenbetreiber Google, auch die Verlinkung zu Seiten, auf denen gelöschte Beiträge gespeichert werden, zu unterlassen (Oberlandesgericht München, Beschluss vom 07.06.2017, Az.: 18 W 826/17).
(Der folgende Gastbeitrag wurde von unserem Praktikant Anselm Wesner verfasst, welcher im 3. Semester Rechtswissenschaften in München studiert.)
Ausgangslage war, dass sich ein Unternehmen in seinem unternehmerischen Persönlichkeitsrecht verletzt sah, da im Internet Berichte veröffentlicht worden waren, in denen behauptet wurde, die Staatsanwaltschaft Stuttgart würde wegen Betrugs gegen das Unternehmen ermitteln. Tatsächlich wurde aber wegen Kapitalanlagebetrugs ermittelt.
Im Rahmen einer vorangegangen einstweiligen Verfügung (OLG München, Beschluss v. 27.04.2015 – 18 W 591/15) wurde Google verpflichtet, die Suchtreffer (Snippets) zu den betroffenen Seiten zu entfernen, da das OLG München der Auffassung war, dass sich der Tatbestand des Betrugs von dem des Kapitalanlagebetrugs maßgeblich unterscheidet. Weiterhin war das OLG der Auffassung, Google habe durch diese Beiträge unwahre Tatsachen verbreitet, was nicht unter die Meinungsfreiheit fiele und deswegen zu unterlassen sei.
Dass es sich um unwahre Tatsachen handelte, ist nicht mehr Streitgegenstand der Entscheidung vom 07.06.2017 vor dem OLG München. Diese Frage wurde vielmehr im vorangegangen Verfahren mit Beschluss am 27.10.2015 durch das OLG München geklärt (OLG München, Beschluss v. 27.04.2015 – 18 W 591/15).
Google kam der gerichtlichen Anordnung auch nach und löschte die Beiträge aus der Suchmaschine. Im gleichen Atemzug verlinkte Google aber die Website LumenDatabase.org.
Auf dieser Website wurde die Löschung dokumentiert und eine weitere Website verlinkt, auf welcher die eigentlich gelöschten Beiträge weiter eingesehen werden konnten. So erhielt man in der Google-Suche folgenden Text, wenn man weiterhin „Namen es Unternehmens Betrugsverdacht“ googelte:
Als Reaktion auf ein rechtliches Ersuchen, das an Google gestellt wurde, haben wir 1 Ergebnis(se) von dieser Seite entfernt.
Weitere Informationen über das Ersuchen findest du unter LumenDatabase.org.
LumenDatabase ist eine vom Bergman Klein Center for Internet & Society at Harvard University betrieben Website, die sich für die Transparenz im Internet einsetzt und nach eigenen Angaben Löschungen von Beiträgen im Internet, sowie den Löscher dokumentiert. Sie gehört offiziell nicht zu Google und ist somit als unabhängiger Dritter in dieser Angelegenheit anzusehen.
Diese Verlinkung durch Google sah das OLG München als rechtswidrig an, da hierdurch zumindest mittelbar die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt seien.
Zuerst stellte das Gericht fest, für diesen Sachverhalt auch international zuständig zu sein, da deutsche Gerichte auch international zuständig seien, wenn der rechtsverletzende Inhalt einen deutlichen Bezug zum Inland aufweist oder der Interessenkonflikt auch im Inland auftreten könnte.
Auch dass der Antragstellerin das Unternehmenspersönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 EMRK zusteht, ist unstreitig. Eine Verletzung hierin liegt vor, wenn die juristische Person oder ihre Tätigkeit zum Objekt herabwürdigender Kritik gemacht wird (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773).
Der wichtigste Aspekt dieses Urteils ist aber die Tatsache, dass Suchmaschinenbetreiber wie Google von nun an im Rahmen der mittelbaren Störerhaftung in Anspruch genommen werden können.
Unter einem mittelbaren Störer ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder zu verstehen, der in irgendeiner Weise willentlich und wissentlich adäquat kausal zur Beeinträchtigung eines Rechtsguts eines Anderen beiträgt. Als Beitrag kann auch die Unterstützung oder Nicht-Verhinderung von Handlungen eines eigenständigen Dritten verstanden werden ,wenn der Unterstützer die Möglichkeit zur Verhinderung der beeinträchtigenden Handlung hatte (vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015 – VI ZR 340/14, AfP 2015, 424; BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219).
Besonders das Urteil des BGH vom 28.07.2015 konkretisiert die Störerhaftung und statuiert, dass der Störer sogar darauf hinarbeiten muss, dass die falsche Behauptung von Websites Dritter gelöscht werden muss. Den der Störer habe die unwahre Behauptung in die Welt gesetzt und sei auch dafür verantwortlich, sie wieder so gut wie möglich aus der Welt zu schaffen.
Legt man dieses Urteil über den Sachverhalt vor dem OLG München, ist unstrittig, dass Google verpflichtet ist, zumindest die Hinweise auf andere Websites zu unterlassen. Dies stellt genau eine Unterstützung von Dritten, also eine mittelbare Störung der Rechtsgüter, dar. Und innerhalb des Unterlassungsverlangens ist nach der Rechtsprechung des BGH durch den mittelbaren Störer alles ihm zumutbare zu unternehmen, um die Störung der Rechtsgüter zu beseitigen (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, MDR 2016, 518; BGH, Urteil vom 15.04.2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213; BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219).
Im vorliegenden Fall kann von Google in jedem Fall verlangt werden, die Verweisung auf Websites zu unterlassen, welche die gelöschten Beiträge sammeln und speichern.
Nach Ansicht des OLG München entfällt die Haftung Googles als mittelbarer Störer auch nicht, weil diese die Website LumenDatabase.org nicht direkt verlinkt hat, sondern nur auf diese verweisen.
Denn der Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragsgegnerin liegt nicht in dem Setzen eines Links, sondern in ihrer Suchfunktion. Indem sie auf die angegebene Suchanfrage hin die ihr zugänglichen Webseiten auf die entsprechenden Schlüsselwörter durchsucht und ihre Ergebnisse dem Nutzer anzeigt, macht sie für diesen die unübersichtliche Flut von Informationen im Internet nicht nur gezielter und vereinfachter nutzbar, sondern oft auch die von ihr angezeigten URLs erst auffindbar (so zutreffend OLG Köln, Urteil vom 13.10.2016 15 U 173/15, Rn. 123, zit. nach juris, ZUM-RD 2017, 134).
Das OLG folgt damit dem BGH zum Störerbegriff. Denn Google wusste nach der vorausgegangen Verfügung, dass diese unwahren Tatsachen nicht weiterhin verbreitet werden dürfen und deren anderweitige Verbreitung auch nicht unterstützet werden darf.
Viel mehr wurden mögliche und zumutbare Kontrollmaßnahmen nicht ergriffen, um zukünftige Verletzungen der Antragstellerin zu verhindern. Diese Verpflichtung folgt aus der Abwägung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Antragstellerin mit der durch Art. 2 und 14 GG geschützten wirtschaftlichen Tätigkeit von Google (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2013).
Eine Haftungsmilderung nach § 10 TMG kommt nicht infrage, da § 10 TMG auf Unterlassungsansprüche keine Anwendung findet (BGH, Urteil vom 30.06.2009 – VI ZR 210/08; Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10; BGHZ 181, 328 Rn. 13 f.).
Fazit:
Das OLG München hat meiner Ansicht nach in dieser Situation vollkommen richtig erkannt, dass es nicht ausreicht, Suchtreffer bzw Snippets nur direkt zu entfernen, aber indirekt weiter zugänglich zu halten. Im ewigen Streit zwischen den Persönlichkeitsrechten einzelner und der Meinungs- und Informationsfreiheit hat diese Entscheidung eine Stärkung des Einzelnen bewirkt. Gerade Unternehmen wie Google, die in der Vergangenheit den Großteil ihrer Argumentationen auf die Meinungsfreiheit gestützt haben, um Beitragslöschungen oder Sperrungen zu verhindern, könnte diese Präzedenzentscheidung gewisse Grenzen aufzeigen.
Stand heute wurde der Verweis zu LumenDatabase.org von Google entfernt und es findet sich beim „googeln“ von „Name des Unternehmens Betrugsverdacht“ auch kein anderer Verweis auf eine Betrugsermittlung.
Schreibe einen Kommentar
You must be logged in to post a comment.