Nachdem Amazon bereits im Jahr 2012 gegenüber einzelnen Kunden mit besonders hoher Retourenquote mit der Sperrung ihres Kundenkontos gedroht hatte (wir berichteten), setzte das Unternehmen diese Drohung im vergangenen Jahr in die Tat um. Wir hatten bereits damals rechtliche Bedenken geäußert. Nun bereitet die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, welche Amazon zuvor wegen dieses Vorgehens abgemahnt hatte, eine Klage vor und führt die Frage der rechtlichen Zulässigkeit dieser Praxis somit einer gerichtlichen Beurteilung zu.
Fest steht auf der einen Seite, dass es auch für einen Online-Riesen keinen Kontrahierungszwang gibt. Auch Amazon darf grundsätzlich selbst entscheiden, mit wem es in der Zukunft Verträge schließen möchte und mit wem nicht. Fest steht auch, dass Retouren-Missbrauch ein ernsthaftes betriebswirtschaftliches Problem für den Onlinehandel darstellt. Gerade im Textilbereich sind Retourenquoten besonders hoch und stellen einen enormen Kostenfaktor dar. Vereinzelt werden Kleidungsstücke für einen besonderen Anlass bestellt, dort getragen und danach zurück geschickt. Oder der eigens zum Champions League Finale bestellte Flachbildfernseher wird nach dem privaten Fußballfest ohne Angabe von Gründen retourniert.
Beachtet man das öffentliche Feedback, so fällt zudem auf, dass eine Vielzahl der Onlinekunden das Vorgehen von Amazon sogar begrüßt. Es wird befürchtet, dass sich Händler die durch Hochretournierer verursachten Mehrkosten über einen höheren Endpreis von allen Kunden zurückholen. Demnach sei es gerade auch im Interesse der „redlichen“ Kunden, dass solche Kostenfaktoren für die Zukunft ausgeschlossen werden.
Die Frage, mit welcher sich das Gericht zu beschäftigen haben wird, ist jedoch, ob möglicherweise wettbewerbsrechtliche Grenzen für ein solches „Rausschmeißen“ von Kunden bestehen. Wir hatten es als besonders problematisch angesehen, wenn dem Kunden mit einer Löschung des Kundenkontos gedroht wurde, da so das Verhalten des Verbrauchers in der Zukunft beeinflusst werden könnte und dieser möglicherweise von (rechtmäßigen) Rücksendungen absehen wird.
Die Verbraucherzentrale NRW ist hingegen der Auffassung, dass gerade die Löschung von Kundenkonten ohne vorherige Androhung eine besonders schwere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Käufers darstelle. Gerade dann bestehe ein permanenter Druck auf den Kunden:
Einerseits lockt der Versandriese zum scheinbar risikolosen Shoppen. Im vergangenen Weihnachtsgeschäft wurde etwa die Rückgabefrist von 30 auf bis zu fast 60 Tage erweitert. Andererseits droht ständig das Damoklesschwert des Rauswurfs. Nirgends auf den Amazon-Seiten steht, wann es zuschlägt, wenn Käufe wieder an den Absender gehen. Ärgerlich dabei: Der Druck kann davon abhalten, das gesetzliche Widerrufsrecht auszuüben.
Auch für diese Ansicht gibt es selbstverständlich gute Argumente. Insbesondere ist der Gedanke nachvollziehbar, dass Onlinehändler bevor sie als ultima ratio die „rote Karte“ der Kontosperrung aussprechen zunächst eine „gelbe Karte“ in Form einer Androhung verteilen sollten. Auch der Wunsch nach einer objektiven Regelung der Voraussetzungen hierfür ist verständlich.
Ob und wie sich mittels starrer Richtlinien überhaupt festlegen ließe „wann das Damoklesschwert zuschlägt“ lässt die Verbraucherzentrale jedoch offen. Hier dürfte in der Praxis ein großes Problem liegen. Die Frage, ab wann ein Kunde zum betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor wird, lässt sich angesichts unterschiedlicher Margen und Bestellvolumen schwerlich an einer festen Retourenquote festmachen. Ferner bleibt zu befürchten, dass Händler, welche versuchen eine feste Quote oder pauschale Missbrauchsregelung etwa in AGB festzulegen, sich erst recht auf wettbewerbsrechtliches Glatteis begeben.
Eine gerichtliche Klärung solcher Fragen wäre jedenfalls zu begrüßen. Bereits vor zehn Jahren hatte das OLG Hamburg (Urteil vom 25.11.2004 – 5 U 22/04) einen vergleichbaren Fall zu entscheiden. Es kam zu dem Ergebnis, dass ein Versandhandelsunternehmen grundsätzlich nicht verpflichtet sei, mit einem Kunden erneut Fernabsatzverträge über Waren zu schließen, mit dem sich das Vertragsverhältnis in der Vergangenheit wegen eines überproportional hohen Anteils an Rücksendungen bestellter Ware über einen längeren Zeitraum als unwirtschaftlich erwiesen hat. Auch die vorherige Androhung der Löschung sei nicht zu beanstanden. Die damit einhergehende „Zwangswirkung“ sei wetttbewerbsrechtlich nicht unlauter (§ 4 Nr. 1 UWG).
Der bevorstehende Rechtsstreit könnte zeigen, ob sich diese Grundsätze angesichts gestärkter Verbraucherrechte in den letzten Jahren noch halten lassen. Ferner weist der aktuelle Fall eine Besonderheit auf. Nach schriftlicher Auskunft von Amazon selbst, wird im Fall der Sperrung nicht nur das Kaufkonto des Kunden gesperrt, sondern auch dessen möglicherweise vorhandenes Kindle-Konto. Angesichts der technischen Bindung des hauseigenen eBook-Readers an das Angebot von Amazon, würde die Nutzbarkeit des Geräts somit entscheidend eingeschränkt. Das Vorgehen betrifft somit möglicherweise nicht nur zukünftige Vertragsschlüsse sondern indirekt auch den in der Vergangenheit liegenden Kauf des Kindles. Jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt könnte die Sperrung unzulässig sein.
Über den Fortgang des Verfahrens werden wir berichten. (Zum Zeitpunkt eines möglichen Urteilsspruchs dürfte sich die Frage jedoch tatsächlich als ein Problem der Vergangenheit darstellen. Die ab 13.06.2014 geltenden Vorschriften der EU-Verbraucherrechterichtlinie werden es Betreibern von Onlineshops ohnehin erlauben, Rücksendekosten den Verbrauchern aufzuerlegen und so flexible und interessengerechte Lösungen der Retourenproblematik zu gestalten. Trotzdem könnten in dem Rechtsstreit spannende Fragen zu den Grenzen der Privatautonomie im Onlinehandel thematisiert werden.)
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